Wollen wir uns nun die vier Schritte mal genauer anschauen.
Der erste Schritt in der Gewaltfreien Kommunikation ist die Beobachtung.
Dahinter steht die reine Wahrnehmung dessen was ist. Stellen Sie sich zum leichteren Verständnis vor, Sie sind eine Kamera: Was sehen Sie? Was hören Sie?
Nutzen wir die Gewaltfreie Kommunikation in unserem täglichen Sprachgebrauch, dann hören wir auf, “lebensentfremdende Kommunikationsarten” zu verwenden – also keine Interpretationen, Bewertungen, Belehrungen und Beurteilungen. Denn es sind genau diese Kommunikationsformen, die uns vom wahrhaftigen Miteinander trennen. Konflikte entstehen, weil wir mit dieser Art des Austausches dem Anderen nicht offen gegenüberstehen können. Wir sind dann schon voll mit eigenen Bildern, so dass wir keinen Raum mehr haben, in welchem unser Gesprächspartner uns sein Bild zeigen kann.
Nutzen wir die reine Beobachtung als Start in eine gelingende Kommunikation, dann geben wir wieder, was wir sehen und/oder hören.
Ein Beispiel:
Kim und Max streiten sich darüber, wer den Müll runterbringen soll. Immer wieder entsteht die gleiche Diskussion daraus. Am Ende geht Kim mit zusammengekniffen Lippen zur Mülltonne, während Max die ganze Aufregung nicht nachvollziehen kann.
Sprechen beide im Bewertungsmodus, dann kann Max Kim anklagen, immer gleich so aggressiv auf das Thema zu reagieren. Gleichzeitig kann Kim Max vorwerfen, stets gleichgültig zu sein und sich nicht aktiv am Haushalt beteiligen zu wollen. Auf dieser Ebene ist es schwer zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen, da beide durch die jeweiligen Anklagen sehr verletzt sind. Mit diesen Verletzungen sinkt die Bereitschaft, dem anderen positiv und mit einer offenen Haltung zu begegnen.
Die gleiche Situation:
Kim sagt beim Frühstück zu Max: “Bring bitte den Müll in die Tonne.” Als Kim am Abend nach Hause kommt, steht der Müll noch in der Küche.
Das ist im Sinne der Gewaltfreien Kommunikation eine Beobachtung. Nachdem Kim das geäußert hat, kann sie dann anschließend ihre eigene Gefühlswelt und Bedürfnisse beschreiben und den Wunsch nach einer gemeinsamen Lösung ausdrücken.
Einzelübung zur Beobachtung:
Nehmen Sie sich am Abend 10 Minuten Zeit und reflektieren Sie Ihren Tag. Für diese Übung ist es hilfreich, Papier und Stift zur Hand zu haben. Führen Sie sich eine Situation vor Augen, in der Sie sich geärgert haben. Verbinden Sie sich mit diesem Moment und schreiben Sie die Situation so auf, wie Sie sie erlebt haben. Begeben Sie sich anschließend in die Position des Beobachters. Notieren Sie nun diesen Moment aus der Perspektive einer Kamera. Was haben Sie wirklich gesehen? Was haben Sie wirklich gehört? Also ohne Gedanken und Bewertungen. Lesen Sie beide Versionen. Was fällt Ihnen dabei auf? Gibt es einen Unterschied? Wenn ja, wie nehmen Sie diesen Unterschied wahr?
Partnerübungen zur Beobachtung:
Übung 1: Verabreden Sie sich mit einem Übungspartner zum Gespräch. Setzen Sie sich für diese Übung ein Zeitlimit von 60 Minuten. In den ersten 9 Kapitel 2 10 Minuten spricht eine Person und die andere hört nur zu. Suchen Sie sich eine Situation aus dem Alltag, in der Sie eigene Bewertungen wahrgenommen haben. Schildern Sie die Situation. In den folgenden 5 Minuten gibt der zuvor Zuhörende mit seinen Worten das Gesagte aus der Beobachterposition wieder. Der Sprechende hört nun aufmerksam zu. Danach tauschen Sie sich 10 Minuten über die unterschiedliche Wahrnehmung aus. Wo waren Bewertungen spürbar? Nehmen Sie die Situation aus der Beobachterposition anders wahr? Was hat sich gegebenenfalls geändert? Wechseln Sie dann die Gesprächspositionen und führen die Übung erneut durch. Wie fühlen sich die unterschiedlichen Positionen an? Tauschen Sie sich im Anschluss darüber aus. Übung 2: Nehmen Sie sich für diese Übung ca. 5 Minuten Zeit. Suchen Sie sich einen Partner und setzen Sie sich ihm gegenüber. Nehmen Sie Ihr Gegenüber wahr und sprechen Sie Ihre Beobachtungen im Wechsel aus. Beispiel: Person A sagt: „Sie haben Ohrringe an, die mir gefallen.“ Person B sagt: „Sie tragen eine Brille.“ usw. Tauschen Sie sich im Anschluss an die Übung aus: Haben Sie wirklich immer Beobachtungen mitgeteilt? Oder gab es vielleicht auch Bewertungen, Interpretationen?