Schritt 2: Gefühl vs. Gedanke

In der Gewaltfreien Kommunikation wird besonderes Augenmerk auf die Unterscheidung zwischen Gedanke und Gefühl gelegt.

Ein Gedanke ist laut Duden das, was gedacht worden ist oder das Denken an etwas; eine Meinung, eine Ansicht oder ein Einfall bzw. ein Begriff oder eine Idee. Der Gedanke, so heißt es bei Wikipedia, ist „ein Produkt des Denkprozesses in Form eines Urteils, eines Begriffs oder einer Kombination von beidem…“ Das, was wir denken, hat viel mit unserer persönlichen Prägung zu tun und mit den Wertvorstellungen der Kultur, aus der wir kommen. Es wird darüber hinaus sehr durch unser individuelles Erleben und von der momentanen Grundstimmung beeinflusst.

Ein Gefühl hingegen ist laut Duden-Definition „der Vorgang, dass man über den Zustand seines Körpers eine bestimmte Wahrnehmung hat.“ Zum Beispiel: Man verspürt ein Gefühl von Kälte, von brennender Hitze auf der Haut, von Schwere in Armen und Beinen oder von einem freudig pochenden Herz.“ Die so wahrgenommenen körperlichen Reaktionen beschreiben wir in Worten.

Wie können wir jedoch erkennen, ob es sich bei dem, was wir zu fühlen glauben, wirklich um ein Gefühl und nicht um einen Gedanken handelt? Hierbei sind Fragen gute Hilfsmittel auf dem Weg zur Klarheit, ob wir uns wirklich im „Gefühls-Feld“ oder „Gedanken-Feld“ befinden.

Beispiel: „Ich fühle mich geliebt!“
Die Aussage klingt nach einer gängigen Beschreibung für das Gefühl „Liebe“.
Wenn ich eine Beschreibung meiner Wahrnehmung in meinem Körper ergänze, dann macht es das für mein Gegenüber leichter nachspürbar, so dass Raum für eine herzliche Verbindung entstehen kann, die beide als bereichernd empfinden. Wie fühlt es sich an geliebt zu werden? (zum Beispie: warm, entspannt, wohlig…)

Oft drücken wir statt eines Gefühls aus, wie wir denken oder beurteilen, wie sich eine andere Person uns gegenüber verhält.
Beispiel:
„Ich fühle mich vernachlässigt von dir!“
Wenn wir fragen „Wie fühlt sich ‘Vernachlässigung‘ für mich an?“ werden wir erkennen, dass wir „Vernachlässigung“ nicht fühlen können. Vernachlässigung ist ein Gedanke, also ein wörtlicher Ausdruck der Gefühle. Um auf das echte Gefühl dieser Aussage zu kommen, ist es hilfreich, sich zu fragen: „Wie fühlt sich ein Mensch, der so denkt?“ Traurig, einsam oder frustriert sind mögliche Gefühle.

Ein weiteres Beispiel:
“Ich habe das Gefühl, du bestimmst alles alleine.”
Obwohl wir die Wörter „Gefühl“ oder „fühlen“ benutzen, drücken wir dadurch oft unsere Gedanken oder Interpretationen anstatt eines Gefühls aus. Das echte Gefühl könnte lauten: “Ich bin frustriert, weil ich gehört werden möchte.” Ein Gefühlsausdruck ist oft sichtbar, zum Beispiel Tränen der Freude oder der Trauer. Ein rot anlaufendes Gesicht könnte Scham oder Wut ausdrücken.
Um besser zu erkennen, ob es ein Gefühl oder Gedanke (auch Pseudogefühl genannt) ist, kann es hilfreich sein, die Rolle eines noch nicht sprechenden Kleinkindes einzunehmen. Ein Kind verfügt nämlich noch gar nicht über Gefühle beschreibende Wörter. Es empfindet zwar Freude, Trauer, Hunger… aber sicherlich nicht: “Ich fühle mich hintergangen, kritisiert, verwahrlost…” denn dazu müsste das Kind erst eine von Bewertungen geprägte Denkweise erlernen.

Ein Erste-Hilfe-Merksatz dazu für den Alltag:
Nach dem Satzbeginn “Ich fühle mich…” folgen oft Gedanken.
Sätze mit Gefühlen beginnen meistens mit “Ich bin…”

Warum ist die Unterscheidung zwischen Gedanke und Gefühl so wichtig?

Vielen Menschen fällt es schwer, ihre Gefühle wahrzunehmen. Oft liegt das daran, dass wir als Kinder nicht die Erlaubnis hatten, unsere Gefühle zu zeigen. Wir bekamen Sätze zu hören wie: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“, „Jungen weinen nicht“ etc. Spätestens bis zum Erwachsenenalter haben wir uns dann abgewöhnt, unseren Gefühlen „freien Lauf“ zu lassen. Stattdessen verstecken wir sie oder unterdrücken sie ganz. Dabei sind sie so unendlich wichtig, denn sie sind der Wegweiser zu unseren Bedürfnissen. Unsere Gefühle zeigen uns, ob unsere Bedürfnisse erfüllt sind oder nicht. In der GFK werden Gefühle schlicht als ein Signal betrachtet:

Beispiel:
„Ich bin durstig.“
Das Gefühl verweist darauf, dass der Flüssigkeitsspeicher aufgefüllt werden will und etwas getrunken werden sollte.
Oder
„Ich bin gerade frustriert.“
Hier verweist das Gefühl darauf, dass ein wichtiges Bedürfnis gerade nicht erfüllt ist.

Nun gilt es herauszufinden, welches Bedürfnis das ist und was wir tun können, damit wir bekommen, was wir brauchen. Die Unterscheidung zwischen echtem Gefühl und Gedanken hat demzufolge eine wichtige Bedeutung in der GFK.

Einzelübung zu Gefühlen

Für diese Übung brauchen Sie 2 – 5 Minuten Zeit. Führen Sie sich eine Situation auf Ihrem Alltag der letzten Woche vor Augen, in der Sie beurteilend über eine andere Person gedacht haben. Was fühlen Sie, wenn Sie so über die andere Person denken?

Partnerübung zu Gefühlen

Verabreden Sie sich mit Ihrem Partner zu einem Gespräch. Nehmen Sie sich dafür 30 Minuten Zeit. 10 Minuten berichtet einer kurz von seinem Tag. Gleichzeitig spürt der Sprechende in sich hinein und nimmt seine Gefühle wahr. Diese werden dann verbalisiert. Der Partner hört nur zu. Durch das in Sprache bringen der Gefühle, erlebt der Zuhörende, wie bewusst der Sprechende mit sich ist. Im Anschluss kann der Zuhörende 5 Minuten seine Wahrnehmung schildern. Für den Sprechenden ergibt sich daraus die Möglichkeit zur Reflexion. Tauschen Sie nach Ablauf der Zeit die Positionen.